Leopold Wolff †
1920. Vorüber die Zeiten, in denen die Gewässer der Alten Oder nicht imstande waren, die unübersehbaren Teppiche der Floßhölzer zu fassen, die von den Gattern der Schneidemühlen C. Müller, Grothe, Kuppen, Rettig, Schlobach und Sack tagaus, tagein verzehrt worden sind. Voran die Firma C. Müller mit einer Belegschaft von 340 Arbeitern in den besten Jahren.
Erschöpft waren die ehemals reichen Tonlager der Ziegeleien Dornbusch, Krause und Haack. Die Produktion der beiden Industriezweige ging unaufhaltsam zurück, einige Firmen mussten ihre Tore schließen. Zieht man in Betracht, dass die Inflationsjahre ganz allgemein wirtschaftlich verheerend wirkten – im November 1924 musste man für den guten, alten Kupferpfennig 10 Milliarden Papiermark zahlen -, so kann auch der heutige Wirtschaftswundermensch ermessen, wie groß die materielle Not vieler Familien gewesen ist.
Um vor dem Äußersten zu schützen, griffen die Kreisvorsitzende der Evangelischen Frauenhilfe, Frau Alexandra von Keudell, und ihr Sohn, der ehemalige Landrat und spätere Reichsminister Walter von Keudell, ein, indem sie Winter 1923/24 eine Notstandsküche einrichteten. Die örtliche Leitung lag in den Händen eines jüngeren Lehrers, das Kochen der Mittagsmahlzeiten überwachte Frau Pastor Rutenick. Kartoffeln, Mehl, Fleisch, Fett und Gemüse spendeten die Großlandwirte des Kreises Königsberg, dem ja damals unser Bralitz angehörte. So kam man “über den Berg”.
Außerordentlich wirksam setzte sich während und nach der Inflationszeit der damals blühende Raiffeisenverein für die wirtschaftliche Belebung des Ortes ein, der nach dem genossenschaftlichen Grundsatz “das Geld des Dorfes dem Dorfe” handelte, der seine zahlreichen Mitglieder und alle Interessenten mit Brennstoff, Futtermitteln, Kunstdung, Kartoffeln usw preiswert versorgte. Verantwortlich für diese Arbeit zeichnete der damals äußerst schaffensfrohe und gewandte Hauptlehrer Maaß.
Die von ihm eingerichtete und geleitete Geschäftsstelle entwickelte sich zum wirtschaftlichen Mittelpunkt der “kleinen Leute”. Aber auch größere Betriebe ließen sich gern und erfolgreich von ihr betreuen.
Was der Historiker im Leben eines Volkes feststellen kann, dass materiell schwierige Epochen zugleich Blütezeiten der Kultur waren, ließ sich auch in den zwanziger Jahren in Bralitz beobachten. Drei Chorvereinigungen wetteiferten miteinander in der Pflege des Volks- und Kunstliedes, aber auch in der Wiedergabe von Schöpfungen der heiteren Thalia sowie von Werken mit ernsteren Themen.
Im Herbst 1923 ging C. M. v. Webers romantisches Spiel “Preziosa” unter Mitwirkung eines Freienwalder Orchesters über die Bühne. Im Spätsommer 1924 wurde auf einer im Gemeinschaftsdienst errichteten Freilichtbühne unter großer Anteilnahme der Bevölkerung von Bralitz und der Umgebung zweimal Schillers “Wallensteins Lager” aufgeführt.
Der Höhepunkt der chorischen Arbeit war wohl der Vortrag von Robert Schumanns “Rohtraut, schön Rohtraut”, der dem Gemischten Chor “Vineta” anlässlich eines großen Sängertreffens in Alt-Ranft im Jahre 1926 stürmische Zustimmung und hohe Ehre eingebracht hatte.
Wie in jedem alten märkischen Dorf stehen Schule und Kirche in der Mitte des Ortes. Darf ich einige Sätze über die Bralitzer Schule der zwanziger Jahre sagen: Ihr Leiter war der bereits erwähnte Hauptlehrer Maaß. Ferner arbeiteten an dieser Bildungsstätte die Lehrer Liesk, Schumann, Wolff und als sein Nachfolger ab Herbst 1926 Strohbusch.
Die pädagogischen Ideen eines Gaudig und Sprangen fassten hier bald nach dem ersten Weltkrieg Fuß, und dem meisterlichen Können des Schulleiters gelang es, das Prinzip der “Arbeitsschule” in musterhafter Weise durchzuführen. Natürlich wurde die Schule gern von interessierten Pädagogen besucht.
Es könnte Sommers 1925 gewesen sein, als Schulrat Hintze-Königsberg mit dem ganzen Kreislehrerverein Gast der Schule war. “Die Räume wuchsen, es dehnte sich das Haus.” Schülerzahl und Durchführung des pädagogischen Prinzips veranlassten den Schulvorstand und die zuständige Regierung in Frankfurt/Oder, 1925 bauliche Veränderungen im Alten Schulhaus und den Ausbau des Neuen vorzunehmen.
Die stattliche Kirche ist im Jahre 1889 in Anlehnung an den gotischen Baustil errichtet worden. An der Aufbringung der Kosten beteiligte sich – außer den zuständigen Körperschaften und Behörden – ganz besonders der Chef der Firma C. Müller. Bis zum Jahre 1930 versahen folgende Geistliche das Predigtamt an diesem Gotteshause: Lehmann, Lange, Rütenick. Die Organisten während dieser Zeitspanne waren die Hauptlehrer Schulz und Schneider, die Lehrer Wolff und Strohbusch.
Der erste Weltkrieg forderte die Abgabe der beiden größten Glocken. Die Stimme der zurückgebliebenen war doch recht schwach, dass sich die Gemeinde entschloss, ein neues Geläut zu beschaffen. Es wurde von einer Firma in Bockenem am Harz aus Stahl gegossen und auf den hellen Dur-Akkord g-h-d abgestimmt. Die Inschriften:
g – Gar eisern die Zeit, drum eisern mein Kleid, und eisern sei Treu und Beständigkeit.
h – Halt rein, wie mein Klingen, dein Wollen und Handeln, so wird sich die Erde zum Himmel wandeln.
d – Der Erde gehöre mit Werktags gedenken, doch musst du die Seele ins Ewige senken.
In einem feierlichen Gottesdienst konnte das Geläut am 18. Dezember 1924 eingeweiht werden. Hierzu hatte der Organist der Kirche, Leopold Wolff, von dem auch die Glockensprüche stammen, die folgenden Verse verfasst:
Glocken – freundlich habt geladen jahrein, jahraus
zu frommer Andacht in dies Gotteshaus.
Habt mit uns gejubelt, mit uns geweint
als treue Freunde unsrer stillen Dorfgemeinde.
Glocken, euch zerschlug des Schicksals gepanzerte Faust,
die das Vaterland zerschlagen, die uns alle unerbittlich zwingt,
ein ächzend Joch zu tragen.
Glocken, ihr zerschelltet; eine blieb,
sie war uns all von Herzen lieb. –
Gestern ist auch sie von uns gegangen, still und schlicht in ihrer Art.
Doch durch ihren Segen uns bescheret ward ein neu Geläut,
ganz wie unsre Zeit – im Eisenkleid. –
Mit den neuen Glocken steigen tausend Bitten auf zu jenen Thronen,
wo Erfüllung und Vollendung wohnen.
Bitten für des Vaterlandes heilige Erde, Bitte für des Dorfes frommen Frieden,
daß des Menschen Wollen lautrer werde, daß er Gutes wirke ohn’ Ermüden,
daß “die Seele reifer werd im Strom der Zeit” für die Ewigkeit.
Auf denn, ihr Glocken, erhebt eurer Klingen.
Sollt in die Häuser, die Herzen dringen, jubelnd euch schwingen,
weihnachtlich singen, hebt hinaus über des Alltags Not
unsere Seele zum ewigen Gott.
Zwei Jahre später hat der künstlerisch hochbegabte Lehrer Adolf Liesk die Verse äußerst wirkungsvoll auf eine schöne Eichentafel gesetzt, die im Gotteshaus einen würdigen Platz hat und bis zum heutigen Tage erhalten geblieben ist.
1925 (oder 1926) wurde im Kirchpark eine Gedächtnisstätte zum Andenken an die Gefallenen des ersten Weltkrieges geschaffen. Um einen monumentalen Block gruppieren sich 53 kleine Gedenksteine, entsprechend der Zahl der Ortsgefallenen. Das heißt also: jeder 25. Einwohner des Dorfes hatte sein Leben für das Vaterland hingeben müssen! Erschütternd! Ein kleines Beet vor jedem der Steine, in die Namen und Sterbetag der Opfer eingegraben sind, gab den Angehörigen die Möglichkeit, ihrer seelischen Verbundenheit mit dem Gefallenen durch einen Blumenschmuck Ausdruck zu verleihen.
Die feierliche Einweihung der Gedächtnisstätte schloss mit dem Schillerwort: “Holder Friede, süße Eintracht, weilet, weilet freundlich über dieser Stadt. Möge nie der Tag erscheinen, wo des rauhen Krieges Horden dieses stille Tal durchtoben!”
Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung: In den ersten Monaten des Jahres 1945 wurde Bralitz Kriegsgebiet.
Quelle:
VIADRUS Heimatbuch für Bad Freienwalde
Bad Freienwalde Touristik GmbH
Uchtenhagenstraße 2, 16259 Bad Freienwalde
Tel.: 03344 – 150 890,
e-mail: info@bad-freienwalde.de